Keine Frage: Es herrscht gerade nicht nur eine Jahreszeit, sondern auch eine Periode, in der uns vieles fehlt: nicht nur das Grün, das Licht und die Wärme, sondern auch Handlungsarten wie Unbefangenheit, Mobilität, Genuss, Kultur und – ja, vor allem – Nähe.
Das alles lässt sich in nicht in Wert und Sinnlichkeit ersetzen. Aber mensch* kann die (durchaus erträglichen!) Entbehrungen trotzdem ein gutes Stück weit kompensieren – vielleicht gerade auf ungewöhnliche Art und Weise. Mangel macht immer erfinderisch. Das meine ich freilich, ohne es romantisieren zu wollen: Natürlich ist Armut nicht wirklich sexy und Verzicht längst nicht die Lösung aller zivilisatorischen Probleme.
Es nützt nur gerade nichts, das alles doof zu finden. Und deswegen kann man* es auch einfach mal so nehmen, wie es ist – und das Beste draus machen. Mehr machen als sonst zu dieser Jahreszeit. Mit einem neuen Mindset.
In der Psychotherapie gibt es dafür eine extrem hilfreiche Technik: die Paradoxe Intervention. Zum Beispiel kann das geneigte Ich unangenehmen Tatsachen oder Gefühlen erfolgreich begegnen, indem es sie sich geradezu herbeiwünscht. Wenn wir uns etwa einreden, Schmerzen haben zu wollen, wird der tatsächlich empfundene Schmerz leichter erträglich sein. Noch besser: Durch Anbetung zum Beispiel einer kalten Dusche werden selbst Warmduscher*innen tatsächlich das Positive daran entdecken (Aktivierung, Abhärtung, prickelnde Euphorie). Derartige Umdeutungen helfen, Dinge durchzustehen, machen aber auch kreativ und erhöhen die Anzahl der eigenen Optionen.
Auf unsere aktuelle Situation angewendet:
Und all das kultivierten? Und verfeinerten? Und innerlich feierten?
Es würde uns auf jeden Fall nach vorn bringen. Und vielleicht lernen wir dabei so viel über uns selbst und über die Flexibilisierung des Denkens, dass wir reicher denn je in den nächsten, sehr langen Sommer starten können. Sommer? Aber was ist das? Wir hassen Sommer! Und brauchen ihn erst Recht nicht! Genau so!
Also, Drinnenbleiben bietet gerade nur sehr beschränkte Lebensgestaltungs-Möglichkeiten. Nachdraußengehen dagegen erhöht den Handlungsspielraum enorm. Der Schluss liegt also nahe. Mensch* muss ihn nur gnadenlos durchdenken und durchziehen. Was ich meine: Tun wir doch einfach mal so, als hätten wir 25 Grad!
Dieser kleinen Annahme liegt eine Idee zugrunde: Dass es nämlich nur wenige Outdoor-Aktivitäten gibt, die bei fünf oder minus fünf Grad nicht durchführbar sind (auf 5 Personen aus zwei Haushalten beschränkte Aktivitäten natürlich!). Baden zum Beispiel. Okay. Noch was? Nacktbaden vielleicht. Geschenkt.
Es bleiben: zahlreiche Individualsportarten, Mini-Events, kontemplative Bewegungs- und Betrachtungsformen, kreative Tätigkeiten. Also, bitte dick anziehen, vor die Haustür treten, einmal tief durchatmen und die kalte Frische einsaugen!
Es regnet? Egal. Das unendliche Warenlager industrieller Produktion hat ausreichend Gummistiefel, Allwetterjacken und Hautcremes zu bieten. Es gibt einfach keine Entschuldigung. Sorry.
Werden wir mal konkret. Wieso soll ich jetzt eigentlich nicht im Park Boule spielen können? Wer sagt, dass es zum Federballspielen heiß sein muss? Oder dass frau* zum Kraftsport ein Fitnessstudio benötigt? Ich zum Beispiel gehe ganz gern mal joggen. Eine tolle Sache, weil man* dazu fast nichts braucht. Kaum eine Sportart lässt sich unbedarfter ausüben. Und kalte Temperaturen eignen sich sogar besser als warme.
Dabei ist mir aufgefallen, dass es sich zur dunklen Jahreszeit viel schöner auch im Dunkeln läuft. Da sieht alles irgendwie … erzählender, atmosphärischer, angenehmer aus – in der Stadt. Und deswegen ist frühmorgendliches oder spätabendliches Rennen eine der besten Sachen – die es … jetzt unbedingt zu tun gilt. Mit Musik im Ohr oder im vollen Bewusstsein des Stadtrauschens. Durch die Straßen und Parks. Und voller Glück zur Haustür zurück.
In den wenigen Stunden des Tageslichts bieten sich natürlich öffentliche Grünflächen an – für diverse wohlbekannte Tätigkeiten. So sind bekanntermaßen schon viele Mitbürger*innen dazu übergegangen, im heimischen Wohnzimmer Yoga oder Fitness nach Anleitung von YouTube zu exerzieren. Nun, das geht natürlich auch im Park:
Thermokleidung angezogen, Pad und kabellose Kopfhörer eingepackt, fertig. Selbst Bewegungstechniken mit einem/-er Freund*in kann man* da vollführen, etwa Crossfit- oder Tanz-Choreographien auf Abstand ein- und ausüben. Auch hier hilft die Technologie, weil mensch* sich und seine Crew ganz leicht über die Bluetooth-Box mit entsprechender Musik beschallen kann.
Frische Luft tut übrigens auch ohne Sport gut. Wohlgekleidet und mit einem warmen Getränk ausgestattet, bieten sich Parkbänke zum Lesen an, zum Durch-die-Gegend-schauen oder In-die-Wolken-gucken. Frau* kann dort auch mal zu Mittag Take-away-Speisen aus dem lokalen Lieblingsrestaurant genießen. Muss nicht am Küchentisch sein. Danach auf zum einsamen Spaziergang mit gut gekühlten Gedankenexperimenten. Es macht sich breit: die Ausgeglichenheit.
Wer indes doch mehr Lust nach Gesellschaft verspürt, mag sich vom folgenden Vorschlag verleiten lassen: Wir haben uns mit einer anderen Familie oder einem/-er Freund*in auf einen Jour Fixe zum Stadtwandern verständigt. Wir gehen dann gemeinsam alle 14 Tage (und mit 1,5 Metern Abstand) gewisse Strecken ab, unterhalten uns dabei und machen vielleicht noch irgendwo ein Picknick. Tempelhofer Feld, Treptower Park, Tegeler Fließ, Teufelsberg und Grunewald, Botanischer Garten, Berliner Mauerweg, Gärten der Welt. Und weiter draußen gibt’s noch mehr. Das hilft.
Apropos Umland: Zur Vermeidung von Ansteckungen im öffentlichen Nahverkehr steigen viele von uns jetzt ohnehin vermehrt aufs Fahrrad. Aber mensch* kann damit nicht nur in der Stadt, sondern auch mal aus ihr herausfahren. Der Ausflug: ein Sommerlied, das auch im Winter ganz gut klingen kann.
Brandenburger Landschaften mögen momentan vielleicht nicht besonders idyllisch sein. Ironisch könnte man* auch sagen, dass sie sich jetzt von ihrer wahren Seite zeigen: rau, gleichförmig, uninspiriert. Aber ist das so? Nicht wirklich. Denn wenn wir mal genau hinsehen, uns darauf einlassen, werden wir überall schöne Strukturen, stimmungsgeladene Zusammenhänge, ruhende Seen und schlafende Felder entdecken, frostmoosige, nebelverhangene Stille.
Und die Motivation des atmosphärischen Erforschens solcher ästhetischen Zwischenwelten steigt immens, wenn frau* sich vornimmt, seine Wahrnehmungen festzuhalten. Ausgestattet mit Fotoapparat, Filmkamera, Laptop, Notiz- oder Skizzenblock können wir sie einfangen, mitnehmen, weitergeben. Und wir üben uns mal wieder in einer der größten Künste des friedlichen Lebens: in der tätigen Kontemplation.
All diese sinnlichen Außenaktivitäten lassen sich geplant angehen, manchmal aber auch ganz spontan und direkt hinter der nächsten Ecke ausüben – beispielsweise, wenn einem die Decke auf den Kopf zu fallen droht. Zu solchen Zwecken ist es ratsam, immer einen Rucksack parat oder dabei zu haben, in dem sich das essenzielle Outdoor-Ausstattungs-Set befindet. Hier eine kleine Auswahl an sinnvollen Dingen, die das Draußensein in allen Lebenslagen unterstützen:
Dazu natürlich gute Schuhe, also entweder Wanderstiefel oder leichte All-Terrain-Treter.
Und wenn wir dann des Abends zurückkehren oder vielleicht noch gar nicht die Möglichkeit hatten, nach draußen zu gehen – dann wird es Zeit, den Grill anzuschmeißen. Immerhin hat fast jede*r Zugang zu einem Hinterhof, Garten, Parkplatz oder Park. Ähnlich wie beim Joggen sorgt hier die winterliche Dunkelheit für sinnlichen Zauber, der sich irgendwo zwischen den brennenden Tonnen in ehemaligen New Yorker Ghettos und ländlich-deutscher Feuerschalenromantik bewegen kann. Je nach Geschmack.
Wir haben das Ganze zum Beispiel mal direkt nach Sonnenuntergang mit diversen Lichtquellen zelebriert: ein Grill mit brennendem Holz als Lagerfeuer, ein anderes mit glühender Kohle zum Brutzeln, Laternen für die Kinder und zwei Taschenlampen zum Orientieren. Ganz ehrlich, es war total klasse! Richtig nett. Natürlich nur mit maximal fünf Personen, ordentlichen Abständen und ohne zu singen. Klein, aber fein.
Nach all diesen Aktivitäten, zurück in der Komfortzone des eigenen Wohnraums ist auch dort auf einmal das Leben reicher geworden. Frau* hat frische Erlebnisse und Bilder im Kopf, über die es sich zu sprechen lohnt.
Wir können unsere Fotos entwickeln oder digital einstellen, Filme zusammenschneiden und vertonen, Skizzen verfeinern, Geschichten zu Ende schreiben, das Sportprogramm um ein paar Dehnungsübungen ergänzen, das Picknick mit heißer Schokolade nachklingen lassen und dann später noch was richtig Schönes kochen, die halb verklungenen Freiluftgespräche durch ein Telefongespräch ergänzen oder in einen gemeinsamen Whiskey-Abend mit Videochat überführen.
Und wir können diesen Kontrast zwischen innen und außen als untrennbare Einheit begreifen, akzeptieren, leben. Egal zu welcher Jahreszeit. Unter welchen Umständen.
Zuletzt noch ein Gedanke dagegen: All diesen hoffentlich hilfreichen Aktivitäten zum Trotz bleibt Realität Realität, Kälte Kälte und eine Rose eine Rose. In der Natur ist der Winter die Zeit des Zurückziehens, Schlafens und Kräftesammelns. Eine Zeit der Ruhe. Deshalb mag es vielleicht nicht unschlau sein, diesen Aspekt in seine eigene Jahresübergangs-Strategie mit einzubeziehen. Gerade im Angesicht einer fortlaufenden Pandemie, die Durchhaltevermögen erfordert, ist das Gelassenheitsgebot (oder auch: -gebet) ein ganz guter Ratgeber.
Wir müssen nicht immer gegen alles kämpfen, was uns im Wege steht. Denn manchmal geht es ganz von allein wieder weg. Wenig Arbeit? Nichts los? Alles langsam und beschwerlich? Schon Kacke. Aber, na ja, das ist dann eben so. Frühling und Impfstoff sind auf dem Weg. Aber jetzt sind wir hier. Das müssen und können wir auch einfach mal akzeptieren. Und warten.
Warten mögen gerade wir Deutschen gar nicht gerne. Es passt auch nicht in eine leistungsorientierte Gesellschaft. Fakt ist aber: Die Gegebenheit der Dinge interessiert sich reichlich wenig dafür, wie uns das Warten gefällt.
Und wenn ihr mich fragt, stimmt da sowieso was nicht mit dieser schwachsinnigen Idee einer nie stillstehenden Wachstumsgesellschaft, die dir suggeriert, dass alles immer mehr werden muss; dass du jede Sekunde nutzen und jeden Schritt, den du machst, messen, analysieren und optimieren sollst – in fucking Echtzeit. Diese komische Maschine, die läuft jetzt eben mal ein bisschen langsamer. Manchmal steht sie sogar still. Und wir sind immer noch da. Hoppla!
Wir haben gerade eine großartige Chance: einfach mal ganz gepflegt zu warten – darauf, dass es zu Ende ist, dass es weitergeht, dass etwas Neues kommt oder etwas Altes verschwindet. Wir bekommen Zeit geschenkt, die wir mit Reflexionen füllen können, anstatt sie totzuschlagen. Was für eine Wohltat! Genau wie Aktivitäten an der frischen Luft. In Kombination ein super Ying-Yang-Paket, gegen das auf Dauer kein Virus eine Chance hat – egal, ob es jetzt Trump oder Corona heißt. Macht es euch nett und adrett, draußen im mental beweglichen Wartezimmer des Lebens!
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