Ich habe mich da einen Tag lang herumgetrieben und festgestellt: Blaugrün ist das neue Cool. Denn die Neonyt 7/2019 – weltweit größte Messe für Sustainable Fashion – fand im Zeichen des Wassers statt. Um ihr Leitmotiv „We are water“ in seiner epischen Breite zu verstehen, müssen wir nur kurz im verborgenen Schlammgrau der Mainstream-Mode stochern. Dort plätschern die Fabrikabwässer im Rhythmus eines Songs dahin, dessen Text ziemlich unsexy ist und sich etwa so anhört: mega stylish, mega billig, mega fucking asozial.
Der Hintergrund: Unser ständiger Drang zum neuen Outfit sorgt für immer kürzere Kollektionszyklen von teilweise nur zwei Wochen – und perpetuiert die weiter wachsende Billigproduktion in Asien. Sie richtet nicht nur Existenzen zugrunde, sondern auch den Planeten. Denn die Textilindustrie ist einer der größten Wasserverbraucher und -verschmutzer weltweit.
Dazu ein Kulturtipp: Was wir mit unserem unreflektierten Modekonsum so alles in Kauf nehmen, zeigt die Ausstellung Fast Fashion. Vom 26.09.2019 bis zum 02.08.2020 gastiert sie im Museum Europäischer Kulturen in Berlin. Es geht um Exploitation, Vergiftung, Verschwendung.
Aber konzentrieren uns nicht auf die bösen Klamotten von heute, sondern auf die guten von morgen!
Woraus die Zukunft gestrickt ist? Was nachhaltige Mode ausmacht? Werde ich Euch gleich en detail verraten. Hier aber erst mal die wichtigsten Aspekte in Telegrammform:
umweltschonende Rohstofferzeugung und Herstellung +++ sozial verantwortliche Produktionsverhältnisse +++ Abfallvermeidung und Wiederverwendung +++ langsame Zyklen von maximal zwei Kollektionen pro Jahr +++ intelligente Verbindung von traditionellen Techniken mit modernen Gestaltungsmöglichkeiten +++ kein Verzicht auf Innovation, kreatives Selbstbewusstsein und progressiven Style. Stopp. Wie richtig coole Mode also. Nur geiler.
Denn jene Zeiten, wo nachhaltige Klamotten aus grobem Wollgarn gestrickt waren, sind lange vorbei. Heute muss sich Sustainable Fashion weder in puncto Vielseitigkeit, noch in designerischer Qualität hinter der Couture oder den Prêt-à-porter-Konfektionen der großen Fashion Week verstecken.
Zweimal pro Jahr zeigen viele kleine Labels auf den drei Etagen des Berliner Kraftwerks, was sie können. Wenn man da so durch die Gänge wandelt, wird der Geist einer neuen, kreativen Ära spürbar.
Wer ganz schnell wissen will, was geht, muss nur den Influencer*innen auf die Lippen schauen – und auf die Kleider. Sie haben sich mit dem Forum Prepeek ein eigenes Universum geschaffen. Dort werden die auf der Messe vorgestellten Kollektionen direkt ausprobiert und diskutiert. Thekla Wilkening und Pola Fendel gehören als Gründerinnen des Formats selbst zur Avantgarde der Branche. Denn sie haben ein eigenes, nachhaltiges Mode-Verleihkonzept namens Kleiderei geschaffen, das Fashion Victims in Lifestyle Leader verwandelt.
Gemeinsam mit der Beraterin und Bloggerin Kim Gerlach stellen die beiden ihre persönlichen Highlights vor – aus stilistischer Sicht versteht sich. Im Line-up findet sich etwa ein spanischer Kimono (!) des Labels Avasan, der im krassen Kontrast zu einem quietschgelben Jumper von recolution steht. Ein weiteres Beispiel für die unterschiedlichen Spielarten progressiver Kreativität: Auf der einen Seite computergestützte Strickwaren – lange Jacken mit polnischen Landschaften von NIC ŁÓDŹ und Pullis im Karl-Marx-Design von FriedrichDippmann –, auf der anderen Seite ein Jumpsuit der Berliner Marke SKSK (ehemals Skunkfunk) in schrägen 70er-Jahre-Farben.
Ganz nebenbei bekommt man wichtige Einsichten in die Modewelt. Zum Beispiel, dass Gestreiftes 2007 mit Kate Moss zurück auf die Laufstege gekommen ist und sich seitdem beständig hält. Oder die Tatsache, dass es ein Material gibt, was momentan in der Eco-Fashion-Szene total viral geht: Tencel.
Egal, wohin man schaut, sie zieht sich wie ein grüner Faden durch die Galerie der Kollektionen. Tencel ist eine spezielle, besonders ökologische Spielart der Viskose. Im Gegensatz zu jener wird sie unter Verwendung eines nicht toxischen, organischen Lösemittels direkt aus Holzfasern gewonnen. Dieser Prozess findet als geschlossenes Kreislaufverfahren statt. So werden 95 Prozent weniger Wasser verbraucht als bei konventionellen Herstellungsmethoden vergleichbarer Cellulose-Regeneratfasern.
Noch besser: Der gesamte Lebenszyklus des Stoffs ist als ökologischer Kreislauf angelegt. Das Holz für die Produktion stammt aus nachhaltiger Forstwirtschaft. Es wird mit Baumwoll-Verschnitten anderer Modehersteller ergänzt. Gelöst und nass gesponnen, entsteht ein besonders festes und geschmeidiges Textil. Es ist komplett kompostierbar und wird so wieder zum Teil des Bodens, auf dem die nächsten Bäume wachsen.
Der Lycocell-Stoff, welcher von der Lenzing AG unter dem Namen TENCEL™ vermarktet wird, hat ein paar wunderbare Eigenschaften. Er ist leicht und glatt, fühlt sich kühl und trocken an. Das Textil neigt nicht zum Knittern, ist widerstandsfähig gegen Bakterien (stinkt nicht so schnell) und wirkt klimaregulierend. Kein Wunder, dass sich alle darauf stürzen.
Das edel-feminine Label NINA REIN ist ein Paradebeispiel für den Einsatz von Tencel. Ihren minimalistischen Kreationen sieht man die ökologische Herkunft wirklich am wenigsten an. Business-wear-orientiert setzt sie sich betont ab vom Casual-, Creative- oder Street-Style der meisten Marken, verweist aber im gleichen Atemzug auf die Vielfalt der von ihr verwendeten Materialien.
Ähnlich eine andere Vertreterin des anspruchsvollen Chics: LANA Naturtextilien aus Aachen. Ihre schräg geschnittenes Lycocell-Jumpsuit wurde von den Influencerinnen zwar durch das ganze E-Werk gelobt, in der Kollektion finden sich aber auch sehr viele Kreationen aus Bio-Baumwolle und recyceltem Polyester.
Apropos Recycling. Dass Kunststoff nicht böse ist, wenn man ihn wiederverwendet, zeigen viele Marken ganz selbstbewusst. Da sind zum Beispiel die veganen Sneaker von nae. Hergestellt aus alten Plastikflaschen, tragen sie nicht nur zur Müllvermeidung bei, sondern sehen dabei auch noch ziemlich fresh aus.
Ein weiteres innovatives Konzept: Piñatex. Das ist Leder aus Ananasblättern. Es wird hauptsächlich zur Schuhproduktion verwendet, funktioniert ziemlich gut und hat einen ganz eigenen Look. Auch hier stirbt kein Tier! Die spanische Designerin Beatriz Constán hat sogar beschlossen, daraus Schmuck herzustellen. Wer wagt, gewinnt die Blicke der Passanten und Experten.
Natürlich ist Bio-Baumwolle ein Riesenthema, wobei man hier ob des hohen Wasserverbrauchs nachdenklich werden darf. Recycling bzw. Upcycling ist angesagt. Andere Strategien sind Zero-Waste-Techniken wie sie das Label Cora Bellotto einsetzt. Dabei wird so geschnitten und genäht, dass keine Reste bleiben – also quadratisch, aber mit Stil.
Geht’s noch nachhaltiger? Ja, mit einem alten Bekannten: dem Hanf. Im Textilbereich ist er die Pflanze mit der besten Ökobilanz. Wächst nahezu überall. Und wächst schnell! Braucht dabei nur wenig Wasser. Verteidigt sich selbst gegen Schädlinge und kommt so komplett ohne Pestizide aus.
Leider wird das grüne Wunder in Europa kaum mehr angebaut. Auch das Wissen um die anspruchsvolle Verarbeitung ist weitestgehend verloren gegangen. Ironischerweise wurde dieses Know-how in China weiter kultiviert und wird dort vorbildlich angewendet. Deshalb hat das deutsche Label Hempage seine Produktion komplett dorthin verlegt. Nicht, um Geld zu sparen, sondern um die nachhaltige Herstellung so gut wie möglich zu fördern – ganz nah bei den Bauern.
Der Mode-Hanf ist frei von psychoaktivem THC – umso berauschender sind seine stofflichen Eigenschaften. Nachdem die Faser aus dem Pektin der Stengel herausgelöst wurde – traditionell durch einen kontrollierten Fermentationsprozess – , kann sie nass oder trocken versponnen werden. So ergeben sich sehr unterschiedliche Texturen: eher glatt und fest oder grob und locker.
Beide Varianten fühlen sich ausgesprochen angenehm und natürlich an. Wie Tencel ist Hanftextil klimaregulierend. In seiner antibakteriellen Art macht es stinkende Oberteile und Socken zu einer Sache von gestern. Im Übrigen darf der grüne Alleskönner als stärkste Naturfaser überhaupt bezeichnet werden.
Hempage kreiert daraus langlebige, fair produzierte Mode verschiedener Stilrichtungen – teils in einem naturellen Look, teils in kreativ-modernem Chic.
Jetzt haben wir viel über Umwelt und Stil gesprochen, aber nur wenig über jene Menschen, die dafür sorgen, dass wir nicht nackt herumlaufen. Das Engagement vieler Slow-Fashion-Labels setzt auf Social Impact – mit ganz unterschiedlichen Perspektiven. Die einen sorgen dafür, dass den Bildern aus Bangladesch stärkere Perspektiven lebenswerter, sicherer und fair bezahlter Arbeitswelten entgegengesetzt werden. Andere kümmern sich um Teilhabe und Tradition – sei es in Europa, Asien oder Afrika.
Eine der schönsten Geschichten kommt für mich dabei aus Portugal, wo VINTAGE FOR A CAUSE Rentnerinnen mit modischem Upcycling sozial reintegriert. Aus ehemaligen Näherinnen werden neue Heldinnen („From Granny to Trendy“), aus getragenen oder nicht verkauften Kleidern entstehen neue Kreationen.
Ein radikalerer Ansatz: Protsaah – handcrafted peace. Das Label bietet flüchtenden und arbeitslosen Menschen in Konfliktzonen faire Jobs – mit der handwerklichen Herstellung von Schmuck, Taschen und Tüchern. Produziert wird unter Einbeziehung des lokalen Kunststils an Orten wie Tibet, Kashmir, Bukina Faso oder Rwanda.
Protsaah ist Teil eines internationalen Kollektivs von Designern, die sich auch auf der Neonyt gemeinsam präsentieren. Dieses AFTERLIFE-Projekt bringt unterschiedlichste Ansätze zusammen und wird vom progressiven indischen Modeschöpfer Amal Kiran Jana koordiniert. Er selbst hat sich mit seinem Label ANOIR dem künstlerisch-surrealistischen Metier verschrieben. Bedeutet: Wandelbare Mode aus Verschnitten der Industrie (also wieder einmal Upcycling).
Eine seiner Kolleginnen, die spanische Designerin Gloria Rodríguez, ist eher an der Bewahrung von Kulturtechniken interessiert. Ihre Marke LUNGU LUNGU setzt auf Kleider mit traditionellen afrikanischen Mustern, Halsketten aus recyceltem Glas und Taschen aus grellen Plastikperlen – alles fair von Hand produziert, in Ghana. Ähnliche Konzepte verfolgt das Schuhlabel UMOJA. Auch hier geht es um die Fortführung und Integration alter Stile, Methoden und Materialien.
Dass man am besten vor Ort produziert, wo die Rohstoffe sind – diesen Aspekt hat sich gefühlt ein ganzes Land zum Grundprinzip gemacht: Äthiopien. Mit zahlreichen Marken sind die Ostafrikaner auf der Neonyt vertreten. Neben der berühmten Designerin Fikirte Addis interpretieren Labels wie MAFI MAFI oder Sabahar ihre eigene Geschichte neu – auf einem hohen metropolitischen Niveau.
Klingt alles schön. Ist es auch. Aber verkaufen kann man bekanntlich viel. Deshalb sind Standards und Kontrollen eine wichtige Sache. Natürlich gibt es die auch in der Welt des Slow Fashion. Im Gegensatz zur Bio-Branche befindet sich das Ganze aber noch ein bisschen im Fluss.
So hat – man höre und staune – die Bundesregierung vor Kurzem beschlossen, ein eigenes Siegel für nachhaltige Mode herauszubringen: den Grünen Knopf. Es wurde ganz frisch auf der Neonyt präsentiert. Und frisch meint hier, dass die Leute am Stand selbst noch nicht wirklich wussten, nach welchen Kriterien Ihr schickes Zeichen einmal vergeben werden soll.
Vermutlich wird es auf einen Mindeststandard hinauslaufen, wie beim europäischen Biosiegel. In einer Diskussionsrunde konnte man vernehmen, dass hier eine Verknüpfung von ökologischen und sozialen Ansprüchen angestrebt wird – auch mit klaren Vorgaben für die Fabriken. Work in progress. Wir dürfen gespannt sein.
In Deutschland existieren übrigens bereits zwei offizielle, wenn auch sehr basale Auszeichnungen für grüne Mode. Zum einen beinhaltet der Katalog des Blauen Engels seit 2011 auch Kriterien für Textilien. Zum anderen haben wir da ein wenig bekanntes EU-Ecolabel, das in seinen Ansprüchen aber kaum mit den internationalen Standards Schritt halten kann. Es ist also reichlich Luft nach oben.
Auf internationaler Ebene gibt es bereits einen viel diskutierten Mindeststandard, seit 2008. Er heißt GOTS. Der Global Organic Textile Standard regelt die gesamte Wertschöpfungskette vom Anbau bis zum fertigen Produkt – ökologisch und sozial. Ein verpflichtender Anteil von 70 Prozent Naturfasern ist eines seiner Kriterien.
Um weiter und am besten gleich ganz nach oben zu schauen: IVN Best ist das Label des Internationalen Verbands der Naturtextilwirtschaft. Unter den allumfassenden Siegeln hat es momentan die strengsten Material- und Sozialstandards. Empfehlenswert.
Beim weithin bekannten Ökotex 100 handelt es sich übrigens um ein reines Verbraucherschutz-Label. In einem Wort: schadstoffgeprüft und absolut unbedenklich. Aber nicht unbedingt bio.
Bei den sozialen Bedingungen haben sich eigene Organisationen etabliert, von denen ich hier nur zwei nennen möchte. Erstens, das bekannte Fairtrade-Siegel – vielfach kritisiert, weil es nur einzelne Aspekte und nicht die gesamte Wertschöpfungskette ins Visier nimmt.
Viel besser der zweite Kandidat: die Fair Wear Foundation. Hier handelt es sich um einen Zusammenschluss von Pionieren und Pushern der Naturtextilbranche. Damit werden etwa faire Bezahlung, angemessene Arbeitszeiten und die Einhaltung von Gesundheitsvorschriften ganzheitlich geregelt und gewährleistet.
Auch für den wachsenden veganen Bereich gibt es eine Auszeichnung. Die hat der Tierschutzverein PETA entwickelt. Und sie spricht für sich selbst: approved vegan.
Mehr zu den Standards findet ihr hier bei Greenpeace oder in einer Übersicht des Bundesentwicklungsministeriums.
Und jetzt noch ein Ausflug ins kühle Nass: Immer wieder wurde ich auf der Messe von tollen Ideen überrascht. Einige davon hatten gar nicht viel mit Mode zu tun – und trotzdem ihre Berechtigung. So beispielsweise die Wachstücher von Gaia. Ein wiederverwendbarer Ersatz für Haushaltsfolie, den man bis zu zwei Jahre benutzten kann. Auch das spart Energie und Wasser.
Dann war da noch die UNICEF vertreten – mit einem Filter. Der ist eigentlich für Menschen in Entwicklungsländern gedacht, um ihr tägliches Nass genießbar zu machen. Hier sorgte er dafür, dass die werten Gäste Spreewasser trinken konnten. Schmeckte gar nicht mal schlecht. Aber im Vergleich zur Preussenquelle … eine andere Liga.
Ja, natürlich war die Preussenquelle auch mit einem Stand am Start. Weil es bei der Neonyt eben so sehr um die Güte und den Schutz des Lebenselixiers ging. In Panels wurde über Möglichkeiten und Erforderlichkeiten diskutiert. Und ich musste bei den vielen Gesprächen mit den zahlreichen Akteuren dank des Rheinsberger Biowassers nicht verdursten. Sehr praktisch.
Zum Schluss die alles entscheidende Frage: Kann man sich das leisten?
Ja. Grüne Mode ist natürlich teurer, aber längst nicht abgedreht hochpreisig. Immerhin haben viele Hersteller den Anspruch, die Welt zu verändern. Das ginge gar nicht, wenn sie nur auf eine Elite abzielten.
Manche Teile wie etwa Socken oder Accessoires beginnen schon bei zehn, zwanzig Euro. Die meisten Kollektionen bewegen sich preislich zwischen 50 bis 150 Euro. Und selbst handgemachte Unikate mit limitierter Anzahl sind im unteren dreistelligen Bereich beheimatet.
Aber man muss ja jetzt auch nicht seine ganze Garderobe umkrempeln, sondern kann mit dem Thema genau so undogmatisch umgehen wie die Influencer*innen. Die geben nämlich offen zu, dass sie ihre geliebten, alten H&M-Shirts auch noch tragen – und zwar so lange, bis sie auseinanderfallen. Denn alles ist ökologischer, als Dinge einfach wegzuwerfen.
Die Natur kennt keine Müllhalde, nur Ressourcen und Entwicklungen. Slow Fashion scheint das verstanden zu haben.
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